Über Bensheimer Mundart
Wenn ich im folgenden einen kleinen Abriß unserer bodenständigen Sprache gebe, möchte ich zwei Bemerkungen vorausschicken.
Erstens, daß meine Ausführungen, wie ja schon aus dem Worte „Abriß“ hervorgeht, den Stoff durchaus nicht erschöpfend behandeln, und zweitens, daß ich dabei auf wissenschaftliche Erörterungen nicht einzugehen gedenke. Daß übrigens hier angeführte Ausdrücke auch in anderen, besonders benachbarten Mundarten wiederkehren, darf niemand wundern; denn die Grenzen einer Mundart sind nie so scharf umrissen, als daß nicht eine Verschmelzung, die oft durch rein äußere Umstände bedingt ist, stattfinden könnte.
Daß der Bensheimer mit vielem anderen, Mundart sprechenden Landvolk Mitlaute verschluckt und Silben unterschlägt, wird sowohl dem einen, als auch dem anderen oft als Mundfaulheit ausgelegt. Wäre dies der Fall, dann würde sich diese „Mundfaulheit“ auch in der Eindämmung des Redestromes bemerkbar machen, was, bei dem Bensheimer wenigstens, nicht gerade zutrifft. Hierher gehört auch die Tatsache, daß „tt“ und „d“ vor „l“ ausfällt; „betteln“ verkürzt sich zu „belle“, „puddeln“ zu „pulle“, „e Schnull“ für eine schnuddelige Person. Andere Ursachen sprechen also dabei mit, auf die ich jedoch hier nicht näher eingehen will. Ich möchte lediglich auf die Tatsache hinweisen, daß bei ihm „verkaufen“ zu „vekaafe“ wird, der „Imbiß“ zur „Ims“, die „Gießkanne ur „Gieß“ u. a. m. Eigentümlich erscheint mir die Zusammenziehung mehrerer Worte, die, im Hochdeutschen auseinandergezogen, von ihm eine unbequem empfundene wiederholte Änderung der Mundstellung verlangen würde. „Alle mit einander“ wird so in seinem Munde zu „allminanner“, „wirst du“ zu „werschde“, „er gibt ihr“ zu „er girrer „, „eine Hand voll“ zu einer „Hambel“, einen „Mund voll“ „zueme Mimbelche“. „Die Mitte, halbe Seite, Hälfte“, auf die man sich beispielsweise beim Kaufpreis einer Kuh einigt, zur „Halmidd“. „Halmidd“ ist übrigens bei alten Bensheimern auch die Bezeichnung für die sogenannte „Halbstundbrücke“, die fast in der Mitte zwischen Bensheim und Heppenheim liegt.
Hierher gehört sicherlich auch die Prägung eines Wortes, da, wo im Hochdeutschen ein ganzer Satz nötig wäre. Die „Ruh“ ist der Platz, auf dem man beim Fangspiel nicht gefangen werden darf; das „Planzstick“ ein Stück Land, das eingepflanzt wird; „Pflanzen setzen“ wird zu „plenzele“, „den Garten bestellen“ zu „gärdele“; beim Gehen die Verlängerung des Rückens hinund herbewegen zu „schwenzele.“
In der Prägung des letzten Wortes liegt bereits ein gewisser Humor. Überhaupt – es wäre grundfalsch – wollte man dem Bensheimer den anderen Gegenden so oft nachgerühmten Mutterwitz absprechen. Er macht sich in einer Menge von Ausdrücken bemerkbar. Eine Studienreise dieserhalb in das „Wäschkorneck“, in die „Raab“ und in die „Haasegaß“ kann ich nur dringend empfehlen. Diese Ausdrücke sind oft der Ausfluß einer unbestreitbaren Lebensweisheit. Der Bensheimer denkt wie ein Philosoph, aber er spricht wie ein Mann aus dem Volke. Kann man dem Gedanken „bleibe was du bist“ besseren Ausdruck verleihen, als mit dem kurz und bündigen „ der Gaas gehäijet kaan lange Schwanz“. – – Was ist dem alten „hic Rhodus, hic salta“ ebenbürtiger, als die Bensheimer Behauptung „de haam häwwe alle Buuwe Määrwel“; und welch unumstößliche Wahrheit liegt in dem Wort „Woas mer hot, hot mer!“ Ich könnte die Zahl solcher „Sprüche der Weisheit“ ins Unendliche fortsetzen, will aber als Abschluß nur an die drei Bensheimer Worte erinnern, die den Begriff des Heimatgedankens geradezu rührend einfach ausdrücken: „Dehaam is dehaam“.
Ich komme ietzt an einen Abschnitt, den ich den Sprachreinigern gegenüber gerne übergehen würde – schon – sagen wir mal, aus einem gewissen Lokalpatriotismus heraus, wie man sich „gut deutsch“ auszudrücken pflegt – ,entstünde dadurch nicht eine merkliche Lücke in meinen Ausführungen. Es handelt sich hier nämlich um den fremdländischen, besonders französischen Einfluß, der sich bei manchen Ortseingesessenen in seiner Ausdrucksform bemerkbar macht. Die geschichtliche Begründung hierfür kann ich wohl als bekannt voraussetzen. Der jüngere Bensheimer hat sich übrigens bereits davon frei gemacht. Lediglich der alte Bensheimer gebraucht noch häufig das Wort „Duschuur“. Er macht „Brulljes“, kommt „sekond“, bringt einem etwas „duusemaa“ bei, geht aufs „Trotwa“, „lamediert“, ist „kuraschiert“, kommt wenn es „pressiert“ rasch „redur“, lebt in „floribus“, treibt „Lurius“, stößt „bawaarische Krisch“ aus, wenn er ein „absenoate Kerl“ ist und „kaa Konduwidd“ hat, „dischkeriert“ und „dischbe diert“ beim „Balwierer“, „versaut soi Munduur“ und fliegt, wenn er ein „Lufdigus“ ist oder die „Gusch net hoalte konn“ ins „Kaschoo“.
Geschichtliche Anklänge finden sich in den Worten „oaltfrenkisch“ für „altertümlich“; „vefuggern“ für „verhandeln“ und „Heckershut“ für großen breitrandigen Hut. Auch die „Heckesäcker“ seien hier erwähnt. Groß ist der Bensheimer in der Tonmalerei. Bei dem Worte „klapperderr“ glaubt man das Zusammenschlagen der Knochen zu hören. Das rasche und laute Geschnatter alter Waschweiber – bildlich genommen – nennt er „schnaggern“, „Bumbt“ er einen herum, so hört man förmlich den dumpfen Laut des Zuschlagens. Er „gluckst“ mit laut vernehmbarem Geräusch seinen Wein hinunter, „blumst“ dann in die, nicht den Bach – denn mit den Geschlechtswörtern steht er gar oft auf dem Kriegsfuß – Und wenn es stark geregnet hat, daß es nur so „geblitschd“ oder „getratschd“ hat, watet er im „Brabsel“ oder „Schlambes“, je nachdem der aufgehäufte Straßenschmutz dünn- oder dickflüssig ist.
Diese Tonmalerei hat ihr würdiges Seitenstück in der Formung des „Plastischen“, des „Anschaulichen“. „Esraumten“, wenn er bei seiner Arbeit rasch vorwärts kommt; er „dunkds Schnudche“, wenn er bei seinem Glase sitzt, er ist „schief gewickelt“, wenn er eine falsche Meinung hat, „ er bennelt mit aam ou“, wenn er mit ihm in Fühlung tritt; er „schmeißt aam Dräck in die Aage“, wenn er ihn übertölpeln will, macht ein „Gesicht wie en Inschlichkuche“, (die heruntergeflossene Talgmasse bei einem Talglicht); „hackt in de letschd Engzaal“, ist also bald fertig namentlich auch aufs Leben bezogen: er scheint bald zu sterben. (Engzeile ist die äußerste Zeile, die ganz eng gelassen ist, um das Eigentum äußerst auszunutzen) oder „kimmt ball mit de Baa zuerschd naus“, wenn er kurz vor seinem Tode steht „ringelt die Noas“, „ziekt die Ank oi“ und „kummt aa noch unner die Houhlziejel“, wenn es mit ihm wirtschaftlich bergab geht, sodaß er voraussichtlich noch einmal mit einem Dachkämmerchen vorlieb nehmen muß. Hat er umgekehrt etwas erreicht, dann „horres ausem Kreiz“! Man hört hier ordentlich das Aufatmen.
Anschauliche Vergleiche sind auch „er danzt wie de Lump am Stecke“, et doutbt (tobt) wie die Hex am Bennel“ „er helt ou (bittet) wie de Kribbel am Wäh“ u. a. m.
Da der alte „Kärn - oder Worzelbäijer“, besonders in früherer Zeit, selbst wenn er ein Handwerk betrieb, eng mit der Landwirtschaft verbunden war, darf es uns nicht wundern, daß viele urwüchsige Ausdrücke eben der Landwirtschaft entnommen sind.
Der Bensheimer zieht sich nicht von einer Sache zurück, er „huft“. Von seinem Rechtsbeistand erwartet er keine sachgenäße Verteidigung; er geht weiter, er verlangt, daß sich dieser für ihn „ ins Geschärr lekt“. Entzieht sich einer dagegen seiner Verpflichtung, dann „horrer die Halfter ausgeschdribbt“. Die Arbeit, die anderen von der Hand geht, geht ihm „vunde Schibb“. Er sagt seinem Gegner „äbbes vors Pläß, „krieht vor laurer Angschd die Gaasegischder“, „reißt“ seinen Kindern, um deren Zukunft er besorgt ist, „e Forrich“ (eine Furche) und, wenn er wütend wird „haabder aam uffde Wersching, dasser en Quätschebaam foren Galleroawebusch ouguckt“. Das klingt unbeschadet der Deutlichkeit etwas um ständlich. Aber umständlich ist der Bensheimer. Das zeigt sich schon darin, daß er für die einfacheren Vergangenheitsformen die umständlicheren Vorgegenwarts- und Vorvergangenheitsformen einsetzt. Er „ging“ nie, sondern „is gange“; er „hatte“ nie, sondern, „er hot gehatte“. Will er die Anzahl der zum Teil gestorbenen und der noch lebenden Geschwister angeben so sagt er gerne: „Wammer all läwe dehn, weern mer siwwe lewennige Kinner“. Auch die Heranziehung des Wortes „tun“ kennzeichnet diese Umständlichkeit. Beispiel: „ich deerem soae“; „er duurem winke“.
Auch die Umschreibung von „ich heiße“ mit „ich schreib mich“ erscheint umständlich. Jedoch ist dabei zu vermerken, daß „heißen“ nur beim Vornamen angewandt wird, ebenso bei „Spitznamen“, „ich schreib mich“ bei Familiennamen. „Ich haaß Hannes“; „den haaße se de Ramaß“; „der schreibt sich Redel“. In dieser Umständlichkeit liegt oft etwas geradezu Widersinniges. Ich erinnere nur an die sehr gebräuchlichen Ausdrücke „Gäih fort, bleib do!“ und „kumm gäih wäk!“ Sogar zu Übertreibungen führt diese Umständlichkeit, der Bensheimer lacht nicht nur, „er lacht sich krank“, „er lacht sich schäbb“, „er lacht sich buckelig“, „er welzt sich vor Lache“, „verschreckt ze Dout“ und „scheemt sich inde Borrem noi“.
Auch auf Häufungen und widersprechen de Verneinungen sei hingewiesen. Der Bensheimer „gäiht“ oder „macht haam zu sich“ „duut kaam nix“, „hot nie net Sport getrewwe“ und findet sich mit dem Gedanken ab „an ihn denkt kaaner net“.
In der Kennzeichnung eines Begriffes ist die Bensheimer Mundart oft genauer und treffsicherer als das Hochdeutsche. Der Schwiegersohn wird zum „Dochdermann“, die Schwiegertochter zur „Sohnsfraa“. Der Vater und die Mutter wird als „oald Mann“ und „oald Fraa“, der Großvater und die Großmutter als „de ganz oald Mann“ und „die ganz oald Fraa“ bezeichnet.
Diese ursprüngliche Betonung des Sinnfälligen zeigt sich auch in der Bezeichnung „Graßaagelche“ für Stiefmütterchen und „gääle Veilchin“ für Goldlack.
Der Beachtung wert sind wohl die Worte mit verschiedener Bedeutung. An erster Stelle steht das Wörtchen „als“. Ist es betont, so hat es die Bedeutung von „fortwährend“. „ Herr Lehrer, der stumbt mich als“. Ist es unbetont, hat es die Bedeutung von „ manchmal“. „Moi Schwester schreibt als“. In der Bedeutung „damals als“ wird es von dem Mundart sprechenden Bensheimer gemieden. An seine Stelle tritt das Wörtchen „wie“. „Wie ich doamols hoam - kumme bin“. Das Wort „stecke“ hat die doppelte Bedeutung: 1. „es aam stecke“ - einem heimleuchten; 2. „aam äbbes stecke“ = einem etwas heimlich mitteilen; „alle Gebott“ heißt „alle Augenblicke“, in der Verbindung „Helf der Gott, alle Gebott“; es kann aber auch „häufig“ heißen: „ er kimmt alle Gebott gelaafe“. „Vordel“ kann einen Vermögensvorteil bedeuten. „ Der hot uff so in Vordel gesähe“. „Vordel“ bezeichnet aber auch eine gewisse Geschicklichkeit: „ in dere Aerwet häww ich en grouße Vordel“. — „luhrn“ (lauern) kann dem Sinn nach bedeuten: 1. gespannt zuhorchen = „er hot an de Deer geluhrt“, 2. einem etwas absehen - „däs horrer dem oabgeluhrt“, 3. auf etwas warten = „däs luhr ich noch oab“, 4. einen unauffällig beobachten = „aan beluhrn“, 5. einen betrügen = „aan beluhrn“; „oibieße“ bedeutet zugleich „sich wehe tun“ und „verlieren“.
Daß die Vorsilbe „er“ häufig durch die Vorsilbe „ver“ ersetzt wird, will ich zum Schlusse ebenso erwähnen. So wird „erzählen“ zu „vezäihle“, „erfrieren“ zu „verfriern“.
Eine besondere Erscheinung ist die, daß die Selbstlautfolge o–a immer umgekehrt wird. Daher auch Kohlraben zu „Gallroawe“ und weiter „Soldat“ zu „Saldoat“, der „Schnurrbart“ zum „Schnabboart“.
Ich glaube in kurzen Zügen auch für unsere Mundart nachgewiesen zu haben daß sie an Urwüchsigkeit, Geschmeidigkeit und Treffsicherheit anderen Mundarten nicht nachsteht.
Ich möchte aber bei dieser Gelegenheit auf einen Umstand hinweisen, der gerade einem Bensheimer Mundartdichter sehr viele Schwierigkeiten bei der Behandlung eines Stoffes bereitet. Ich meine damit den durch die ländliche Umgebung etwas allzu eingeengten Gesichtskreis der hiesigen Mundart sprechenden Bevölkerungsschicht. Da haben es Mundartdichter der großen Städte viel einfacher. Ihre Personen, die sie sprechen lassen, verbinden mit einem weiteren Blick auch eine gewähltere Ausdrucksweise. Dieser weltmännische Einschlag erlaubt, ja bedingt oft geschraubte und verkünstelte Ausdrucksformen, die viel zur Belustigung und Belebung beitragen können (Datterich). Aber wir wollen sie nicht darum beneiden, wäre es doch ganz falsch zu glauben, in der Mundart müsse immer etwas Scherzhaftes ausgedrückt werden. Dieser Glaube hat sich leider bei uns so verallgemeinert, daß es fast gewagt erscheint, in Mundart einen ernsten Stoff zu behandeln. Aber eine Aussicht auf Besserung in dieser Beziehung ist auch bei uns vorhanden. In der Vereinigung „Oald Bensem“ haben sich Leute aus dem Volke zusammengefunden, die es, wie ähnliche Vereinigungen in Nachbarstädten (Weinheim, Darmstadt) als ihre Hauptaufgabe betrachten, unsere Heimatsprache zu pflegen und sie zu erhalten. Darin liegt eine gewisse Selbstbesinnung, die gerade in unserer alles verflachenden Zeit umso bemerkeneswerter ist, weil sie den Beweis liefert, daß in unserer Jugend und in unserem Volke – trotz aller nachteiligen Einflüsse - noch der gesunde Hang zum Ursprünglichem und Bodenständigen besteht. Er wurzelt in einer Heimat liebe, die auch eine Voraussetzung ist für den Wiederaufbau unseres deutschen Vaterlandes.
Joseph Stoll